Was ist systemisches BGM?
Betriebliches Gesundheitsmanagement neu gedacht: Warum systemische Ansätze nachhaltiger wirken und wie Sie Gesundheit als Erfolgsfaktor in Ihrem Unternehmen etablieren.
Wenn Sie schon einmal versucht haben, die Gesundheit in Ihrem Unternehmen zu verbessern, kennen Sie vermutlich dieses Gefühl: Trotz bester Absichten und verschiedener Maßnahmen bleiben die erhofften Veränderungen aus. Der Grund liegt oft nicht an mangelndem Engagement, sondern am Ansatz. Systemisches BGM denkt Gesundheit ganz neu.
Der Paradigmenwechsel: Von der Reparatur zur Prävention
Traditionelles BGM fragt: Was ist kaputt und wie reparieren wir es?
Systemisches BGM fragt: Was hält gesund und wie stärken wir es?
Dieser Unterschied ist fundamental. Während klassische Ansätze einzelne Probleme isoliert betrachten, versteht systemisches BGM Ihr Unternehmen als lebendiges, vernetztes System. Jede Veränderung in einem Bereich beeinflusst andere Bereiche – positiv wie negativ.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens"¹. Systemisches BGM macht diese ganzheitliche Sichtweise zur Grundlage aller Maßnahmen.
Die drei Säulen systemischen BGMs
1. Strukturelle Gesundheit
Gesunde Rahmenbedingungen schaffen
Klare Rollen und Verantwortlichkeiten: Jeder weiß, wofür er zuständig ist
Transparente Entscheidungsprozesse: Mitarbeitende verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen
Angemessene Arbeitsbelastung: Aufgaben und Ressourcen stehen im Verhältnis
Partizipationsmöglichkeiten: Menschen können mitgestalten und Einfluss nehmen
Praxisbeispiel: Ein Softwareunternehmen führte wöchentliche "Klarheits-Runden" ein, in denen Teams ihre Prioritäten abstimmen. Ergebnis: 40% weniger Überstunden und deutlich entspanntere Arbeitsatmosphäre.
2. Kulturelle Gesundheit
Den zwischenmenschlichen Nährboden stärken
Wertschätzende Kommunikation: Wie Menschen miteinander sprechen
Konstruktive Konfliktkultur: Meinungsverschiedenheiten als Chance nutzen
Lern- und Fehlerkultur: Aus Fehlern wird gelernt, nicht bestraft
Gemeinsame Werte und Ziele: Alle ziehen in dieselbe Richtung
Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung haben Unternehmen mit starker Unternehmenskultur 30% weniger Fluktuation und 12% höhere Produktivität².
3. Beziehungsgesundheit
Vertrauen und Verbindung fördern
Psychologische Sicherheit: Menschen können sich öffnen, ohne Nachteile zu befürchten
Kollegiale Unterstützung: Teams helfen sich gegenseitig
Führungsqualität: Vorgesetzte sind echte Enabler für ihre Teams
Sinnerleben: Die Arbeit hat Bedeutung über den reinen Job hinaus
Was systemisches BGM konkret bedeutet
Statt Symptombehandlung: Ursachenforschung
Klassisch: Hoher Krankenstand → Rückenschule anbieten
Systemisch: Hoher Krankenstand → Was belastet die Menschen wirklich? Strukturen? Führung? Arbeitsorganisation?
Statt Einzelmaßnahmen: Vernetzte Ansätze
Klassisch: Isolierte Workshops und Programme
Systemisch: Aufeinander aufbauende Interventionen, die verschiedene Systemebenen ansprechen
Statt Top-Down: Partizipative Entwicklung
Klassisch: Experten entwickeln Programme für Mitarbeitende
Systemisch: Alle Betroffenen werden zu Beteiligten in der Lösungsentwicklung
Der systemische Blick in der Praxis
Fallbeispiel aus unserer Beratung: Ein Maschinenbauunternehmen kam zu uns mit dem Problem steigender Krankenstände in der Produktion. Erste Analysen zeigten: Das Problem lag nicht in der körperlich anspruchsvollen Arbeit, sondern in widersprüchlichen Anweisungen zwischen Schichtleitung und Qualitätskontrolle.
Unsere systemische Intervention:
Moderierte Klärungsrunden zwischen allen Beteiligten
Entwicklung gemeinsamer Qualitätsstandards
Etablierung regelmäßiger Abstimmungsrituale
Schulung der Führungskräfte in systemischer Kommunikation
Das Ergebnis: Krankenstand sank um 35%, gleichzeitig stieg die Qualitätsleistung um 15%. Die Lösung kostete weniger als ein Zehntel der ursprünglich geplanten Ergonomie-Umbauten.
Die vier Phasen systemischer BGM-Entwicklung
Phase 1: Systemisches Verstehen
Wo steht Ihr Unternehmen gesundheitlich?
Welche Muster und Dynamiken gibt es?
Was sind versteckte Ressourcen und Potenziale?
Phase 2: Gemeinsame Zielentwicklung
Was soll sich verändern?
Welche Vision von gesunder Arbeit haben Sie?
Wie sehen konkrete, messbare Ziele aus?
Phase 3: Vernetzte Umsetzung
Welche Interventionen greifen wo?
Wie verstärken sich Maßnahmen gegenseitig?
Wer sind die Schlüsselpersonen für Veränderung?
Phase 4: Kontinuierliche Anpassung
Was wirkt wie gewünscht?
Wo sind Nachjustierungen nötig?
Wie wird das System stabilisiert?
Warum systemisches BGM wirtschaftlicher ist
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten von Arbeitsunfähigkeit auf 128 Milliarden Euro jährlich³. Systemische Ansätze sind besonders kosteneffizient, weil sie:
Mehrfachwirkungen erzielen: Eine gut durchdachte Intervention verbessert oft mehrere Bereiche gleichzeitig
Nachhaltiger sind: Strukturelle Veränderungen haben längere Halbwertszeiten als Einzelmaßnahmen
Präventiv wirken: Probleme werden erkannt, bevor sie zu Kosten werden
Selbstverstärkend sind: Positive Veränderungen ziehen weitere nach sich
Erste Schritte zu systemischem BGM
1. Systemischen Blick entwickeln Beginnen Sie, Zusammenhänge zu sehen. Wenn ein Problem auftritt, fragen Sie: Was könnte dahinterstehen? Welche anderen Bereiche sind betroffen?
2. Beteiligte zu Beteiligten machen Holen Sie die Menschen ins Boot, die von Veränderungen betroffen sind. Sie haben oft die besten Lösungsideen.
3. Klein anfangen, groß denken Starten Sie mit einem überschaubaren Bereich, aber planen Sie Ausweitung von Anfang an mit.
4. Professionelle Begleitung suchen Systemische Veränderungen brauchen oft externe Moderation, um blinde Flecken zu erkennen und Prozesse zu strukturieren.
Systemisches BGM ist mehr als ein Trend – es ist ein Paradigmenwechsel hin zu nachhaltiger, menschenorientierter Organisationsentwicklung. Wenn Sie bereit sind, Gesundheit als strategischen Erfolgsfaktor zu verstehen, öffnet sich ein enormes Potenzial für Ihr Unternehmen.
Quellen:
¹ World Health Organization (WHO): "Constitution of the World Health Organization"
² Bertelsmann Stiftung (2022): "Unternehmenskultur und Performance - Eine empirische Untersuchung"
³ Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (2023): "Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2023"