Rechtliche Grundlagen der Fürsorgepflicht

Was Arbeitgeber über ihre Verpflichtungen zur Mitarbeitergesundheit wissen müssen – rechtssicher und praxisorientiert erklärt.

Als Arbeitgeber tragen Sie nicht nur Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg Ihres Unternehmens, sondern auch für die Gesundheit und Sicherheit Ihrer Mitarbeitenden. Diese Fürsorgepflicht ist nicht nur moralisch geboten, sondern rechtlich verpflichtend. Wir erklären Ihnen, was das konkret bedeutet.

Die Fürsorgepflicht: Mehr als nur ein Wort

Die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht verpflichtet Arbeitgeber, die Gesundheit, das Leben und das Eigentum ihrer Beschäftigten zu schützen. Sie ergibt sich aus verschiedenen Rechtsquellen und hat sowohl präventive als auch reaktive Aspekte.

Rechtliche Grundlagen:

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §618

  • Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

  • Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)

  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

  • EU-Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie

Das Bundesarbeitsgericht betont: "Die Fürsorgepflicht ist eine Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers"¹. Verstöße können zu erheblichen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen führen.

Gesetzliche Anforderungen im Überblick

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) - Das Fundament

§3 Grundpflichten des Arbeitgebers:

  • Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren

  • Menschengerechte Gestaltung der Arbeit

  • Berücksichtigung des Stands der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene

§5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen:

  • Gefährdungsbeurteilung für alle Arbeitsplätze (inkl. psychischer Belastungen seit 2013)

  • Dokumentationspflicht

  • Regelmäßige Überprüfung und Anpassung

§6 Dokumentation:

  • Nachweis durchgeführter Maßnahmen

  • Bei über 10 Beschäftigten: schriftliche Dokumentation verpflichtend

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §618

"Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet."

Diese Generalklausel begründet eine umfassende Schutzpflicht, die über den reinen Arbeitsschutz hinausgeht.

Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)

Verpflichtung zur Bestellung:

  • Fachkraft für Arbeitssicherheit

  • Betriebsarzt

  • Ab dem ersten Beschäftigten (Betreuungsmodelle je nach Größe unterschiedlich)

Aufgaben: Beratung und Unterstützung bei der Umsetzung des Arbeitsschutzes

Besondere Schutzpflichten

Psychische Belastungen

Seit der Gesetzesänderung 2013 müssen ausdrücklich auch psychische Belastungen beurteilt werden. Dies umfasst:

Arbeitsinhalt und -organisation

  • Zeitdruck und Arbeitsintensität

  • Handlungs- und Entscheidungsspielräume

  • Qualifikationsanforderungen

Soziale Beziehungen

  • Führungsverhalten

  • Kollegiale Beziehungen

  • Konflikte und Mobbing

Arbeitsumgebung

  • Lärm, Beleuchtung, Raumklima

  • Ergonomische Gestaltung

Vulnerable Gruppen

Besondere Schutzbestimmungen für:

  • Schwangere und stillende Mütter (MuSchG)

  • Jugendliche Beschäftigte (JArbSchG)

  • Schwerbehinderte Menschen (SGB IX)

  • Ältere Arbeitnehmer

  • Leiharbeitnehmer

Digitaler Arbeitsschutz

Neue Herausforderungen:

  • Ständige Erreichbarkeit

  • Homeoffice und mobiles Arbeiten

  • Digitaler Stress und Technostress

  • Grenzverschwimmung zwischen Arbeit und Privatleben

Das Bundesarbeitsministerium hat 2021 klargestellt: Auch für digitale Arbeitsformen gelten die Fürsorgepflichten uneingeschränkt².

Präventionsverantwortung vs. Durchführungsverantwortung

Wichtige Unterscheidung:

Präventionsverantwortung (nicht delegierbar):

  • Gesamtverantwortung für den Arbeitsschutz

  • Entscheidung über Arbeitsschutzmaßnahmen

  • Bereitstellung notwendiger Ressourcen

  • Kontrolle der Umsetzung

Durchführungsverantwortung (delegierbar):

  • Konkrete Umsetzung der Maßnahmen

  • Überwachung des Arbeitsschutzes im Tagesgeschäft

  • Instruktion der Beschäftigten

Wichtig: Auch bei Delegation bleibt die Organisationsverantwortung beim Arbeitgeber!

Haftung und Sanktionen

Zivilrechtliche Haftung

Bei Pflichtverletzungen kann der Arbeitgeber haftbar gemacht werden für:

  • Behandlungskosten

  • Verdienstausfall

  • Schmerzensgeld

  • Erwerbsminderungsrente

Verschuldensunabhängige Haftung der Berufsgenossenschaft schließt Arbeitgeberhaftung nicht aus, wenn grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegen.

Strafrechtliche Konsequenzen

Mögliche Straftatbestände:

  • Fahrlässige Körperverletzung (§229 StGB)

  • Fahrlässige Tötung (§222 StGB)

  • Verletzung der Fürsorgepflicht (§26 Nr. 1 ArbSchG)

Bußgelder: Bis zu 25.000€ bei Ordnungswidrigkeiten nach ArbSchG

Arbeitsrechtliche Folgen

  • Abmahnung durch Betriebsrat möglich

  • Leistungsverweigerungsrecht der Arbeitnehmer

  • Kündigungsschutz bei Gefährdungsanzeige

  • Image- und Reputationsschäden

Praktische Umsetzung der Fürsorgepflicht

Organisatorische Maßnahmen

Arbeitsschutzorganisation aufbauen:

  • Klare Verantwortlichkeiten definieren

  • Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellen

  • Betriebsarzt einbinden

  • Sicherheitsbeauftragte benennen

Managementsystem etablieren:

  • Arbeitsschutzpolitik entwickeln

  • Ziele und Kennzahlen definieren

  • Regelmäßige Audits durchführen

  • Kontinuierliche Verbesserung

Dokumentationspflichten erfüllen

Mindestdokumentation:

  • Gefährdungsbeurteilungen

  • Unterweisungen

  • Arbeitsunfälle

  • Arbeitsschutzmaßnahmen

  • Begehungen und Kontrollen

Aufbewahrungsfristen: Teilweise bis zu 40 Jahre (z.B. bei Gefahrstoffexpositionen)

Beteiligung der Beschäftigten

Gesetzlich vorgeschrieben:

  • Information über Gefährdungen

  • Anhörung vor Arbeitsschutzmaßnahmen

  • Vorschlagsrecht der Mitarbeiter

  • Beteiligung des Betriebsrats

Erfolgsrezept: Je stärker die Partizipation, desto effektiver der Arbeitsschutz.

Fürsorgepflicht im Wandel der Zeit

Von der Unfallverhütung zur Gesundheitsförderung

Historisch: Schutz vor Unfällen und Berufskrankheiten
Heute: Ganzheitliche Gesundheitsförderung und Prävention

Moderne Interpretation der Fürsorgepflicht umfasst:

  • Psychische Gesundheit

  • Work-Life-Balance

  • Betriebliches Gesundheitsmanagement

  • Demografischer Wandel

  • Digitalisierungsfolgen

Präventionsgesetz und BGM

Das Präventionsgesetz von 2015 stärkt die betriebliche Gesundheitsförderung. Krankenkassen können bis zu 500€ pro Mitarbeiter und Jahr für BGM-Maßnahmen beisteuern³.

Rechtlicher Trend: Von der Mindestpflicht zur optimalen Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen.

Checkliste: Sind Sie rechtlich auf der sicheren Seite?

Grundausstattung vorhanden?

  • [ ] Gefährdungsbeurteilung für alle Arbeitsplätze

  • [ ] Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellt

  • [ ] Betriebsarzt beauftragt

  • [ ] Sicherheitsbeauftragte benannt

  • [ ] Erste-Hilfe-Organisation etabliert

Dokumentation vollständig?

  • [ ] Gefährdungsbeurteilungen aktuell

  • [ ] Unterweisungen nachweisbar

  • [ ] Arbeitsunfälle dokumentiert

  • [ ] Maßnahmen schriftlich festgehalten

  • [ ] Wirksamkeitskontrolle durchgeführt

Besondere Gruppen berücksichtigt?

  • [ ] Schwangere und stillende Mütter

  • [ ] Jugendliche Beschäftigte

  • [ ] Schwerbehinderte Menschen

  • [ ] Leiharbeitnehmer

  • [ ] Homeoffice-Arbeitsplätze

Psychische Belastungen erfasst?

  • [ ] Systematische Beurteilung durchgeführt

  • [ ] Maßnahmen abgeleitet

  • [ ] Wirksamkeit überprüft

  • [ ] Dokumentation vollständig

Die Fürsorgepflicht ist kein lästiges Anhängsel, sondern eine Chance: Unternehmen, die sie ernst nehmen, schaffen nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern auch attraktive, gesunde Arbeitsplätze – ein echter Wettbewerbsvorteil im Kampf um gute Fachkräfte.

Quellen:

¹ Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 25.05.2005, Az. 5 AZR 572/04

² Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2021): "Arbeitsschutz in der digitalen Arbeitswelt"

³ Präventionsgesetz (PrävG) §20b SGB V: "Leistungen zur Gesundheitsförderung in Betrieben"

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GB Psych - Verpflichtend für alle Unternehmen

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“Was bringt uns BGM konkret?”